viennale_lingyu_teaserRuan Lingyu, geboren 1910 in Shanghai, Andy Warhol, geboren 1928 in Pittsburgh, Jane Birkin, geboren 1946 in London. Große Namen, große Persönlichkeiten, die man mehr oder weniger kennt. Das hängt ganz von dem Bild- und Tonmaterial ab, das von ihnen im Umlauf ist. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam - sie galten bzw. gelten als Verkörperung eines modernen Menschen in ihrer Zeit. Von Stephanie Lang.
 

Lingyu: Verführerisch schön sein, innerlich keusch bleiben

Was ist modern? Was macht einen Zeitgenossen zu einem modernen Menschen? Wer entscheidet darüber - die Zeit, der Mensch oder die Medien?!?
Beginnen wir mit der ältesten und jüngsten Persönlichkeit zugleich, dem chinesischen Stummfilmstar Ruan Lingyu, die sich im zarten Alter von 25 mit Schlaftabletten das Leben nahm. Mit 16 Jahren spielte sie ihre erste Filmrolle, innerhalb der nächsten neun Jahre hat sie in weiteren 29 Filmen mitgespielt. Die Rollen, die sie verkörperte, waren moderne Frauentypen meist im 'Paris des Ostens', Shanghai, beheimatet, oder dorthin strebend. Bemerkenswert dabei ist die Tatsache, dass sie eine der ersten ‚echten' Frauen war, die diese weiblichen Charaktere auf der Leinwand spielen durfte. Bisher durften nur Männer auf der Bühne stehen. Die Aufgabe der neuen Filmdiva im konfuzianischen China war es, verführerisch schön zu sein und dabei innerlich keusch zu bleiben, egal was ihr geschieht.
So zeigte sie im Kino zum Beispiel die Konflikte einer allein stehenden fürsorglichen Mutter, die ihr Geld durch Prostitution verdient, oder spielte eine treu bleibende Ehefrau, die nach dem Tod ihres Mannes und dem Verlust ihres Sohnes als eigenständige Geschäftsfrau nicht vor den Schrecken des Krieges zurückweicht, um letztendlich alles zu verlieren und verrückt zu werden. Es sind die ersten Schritte eines hilflosen Aufbegehrens gegen die passive Rolle der Frau in der traditionellen Gesellschaft, am Rande der Ohnmacht.
Weiterhin ist es faszinierend zu sehen, was diese schwarzweiß Aufnahmen von Menschen und Räumen für eine Aussagekraft haben können - ganz ohne Ton - ohne gesprochenes Wort und ohne Musik! Das einzige was man hört, ist das Husten und Rascheln im Zuschauerraum. Doch die Geschichten und menschlichen Gefühle sind so präsent wie selten. Man sieht keine auftragende Schminke, keine theatralischen Gesten, wie im europäischen Stummfilm. Im Gegenteil, einem lebensentscheidenden Moment zweier sich liebender Menschen werden über 10 Minuten, also ein Zehntel des Films, gewidmet.
Nähe und Ruhe, Licht und Schatten und die gut gebaute Dramaturgie der Handlungen erzeugen eine Spannung, die gerade heute wieder erlebenswert ist - um nicht zu sagen, vielleicht sogar bald wieder modern sein könnte.
Ruan Lingya, dieses junge hochbegabte Mädchen war zu ihren Lebzeiten derart bekannt, dass Tausende trauernde Fans zu ihrer Beerdigung kamen, sich zum Teil selbst umbrachten, oder sich mit dem Kauf von Souvenirs und Plakaten trösteten. In der heutigen chinesischen Jugend kennt sie kaum mehr jemand. Soviel zur Vergänglichkeit von Popularität, wenn sie nicht mehr von den Medien gestützt wird.

Medienstar Warhol

viennale_warholDer zweite Medienstar, Andy Warhol, war gerade mal sieben Jahre alt, als sich Ruan Lingya das Leben nahm. 1949 beendet er sein Kunststudium in Pittsburgh und erhält 1957 die weltbekannte Auszeichnung "Art Director Club Medal". Nach sorgfältigem Marktstudium bringt er Massenware auf den Kunstmarkt und wählt für seine Kunst die Reproduktion von Allerweltsmotiven aus der Zeitung, Markengebrauchsartikel wie die Campbell-Suppendosen, Idole des Massengeschmacks wie Elvis Presley, Marilyn Monroe etc., so dass es den Medien ein leichtes war, über ihn zu schreiben und ihn dadurch als Person weltberühmt zu machen. Man könnte ihn auch als einen der ersten Kunstlabel-Schöpfer bezeichnen. 1968 überlebte er einen Mordanschlag, was die Gefahr aufzeigt, die eine Massenwirkung mit sich bringen kann. Nach der ersten Ausstellung seiner Gemälde 1962 in New York, stellt er ein Jahr später demonstrativ die Fabrikation von Bildern ein und beginnt Filme zu machen.
Da sind sie nun entstanden, die kleinen Schätze - die sich die Auswirkungen der Verehrung eines Stars oder jede andere filmische Idealisierung zum Thema gemacht haben. Damals waren diese bewegten Bilder skandalös, heute sind sie erstaunlich natürlich. Sie zeigen einen Mann unter der Dusche, ohne Hochglanz, ohne Design. Die Filme haben noch keinen ‚Style', kaum Dekoration - man sieht nichts, als menschliche Gestaltungslust an sich selbst bzw. dem anderen. Im Gegensatz zu den Hollywood Produktionen mit Doris Day, die konventionellen Alltag behaupten, der nur aus künstlich zusammengesetzten Elementen besteht.
In diesen Filmen passiert nichts, außer der Überbrückung vom Nichtstun. Es scheint keine äußeren Zwänge zu geben, nur innere. Und da sich tatsächlich im heutigen Alltag handwerkliche Arbeit durch Waschmaschinen, Geschirrspüler und Computer stark reduziert hat, ist dieser Zustand mittlerweile ein Massenphänomen geworden. Die Masse nutzt heute die Zeit, um an sich selbst 'Hand anzulegen', sprich sich mit der eigenen Stilisierung zu beschäftigen. Denn das Selbstbewusstsein des Einzelnen in der westlichen Gesellschaft schöpft sich heute eher aus sexueller Attraktivität - für welches Geschlecht auch immer -, als aus befriedigender Arbeit. So scheint es jedenfalls, wenn man die mittlerweile allgegenwärtigen Medien beachtet. In diesem Zusammenhang sind die bewegten bildnerischen Werke von Andy Warhol gerade heute gesellschaftlich hoch modern und sehr aufschlussreich.

Das unabhängige "Produkt" Birkin

viennale_birkin_teaserDie Schauspielerin, Sängerin - der Star, Jane Birkin, hingegen könnte man als eigenständiges, unabhängiges ‚Produkt' solcher nicht mehr ganz so bekannter Label-Schöpfer bezeichnen. Sie wurde 1946 in London als Tochter eines Militärs und einer Schauspielerin geboren, während Andy Warhol - als Sohn immigrierter Arbeiter aus der Tschechoslowakei - in Amerika gerade sein erstes Studienjahr zum "Bachelor of Fine Arts" absolvierte.
Das Phänomen Jane Birkin liegt in ihrer intelligenten Weise dem Spaß an einer Sache zu folgen und dabei ihrer Liebe zu vertrauen. Immer im Bewusstsein, dass ihre Schönheit ein Geschenk der Natur ist, das ihr viele Türen geöffnet hat. "Sie war gerne immer dort, wo es lustig war, ohne dabei ein konkretes Ziel zu verfolgen." Lustig war es zum Beispiel jedes Jahr beim Filmfestival in Cannes, wo dann nach und nach auch Filme mit ihr als Darstellerin liefen. Der Film "Jane B. par Angès V." von Agnes Varda über Jane Birkin, entstand, nachdem Agnès fast ein Jahr in ihrem Haus gelebt hatte. Sie nimmt sich aber auch im konkreten ‚Produktionsverhältnis', also beim Filmen, die Freiheit - ganz zum Entsetzen der Regisseurin - über sich selbst zu verfügen, indem sie sich inmitten der Dreharbeiten ihre langen Haare abschneidet, weil ihr danach war. So erklärt sich auch das Charisma, dass all ihre Rollen beseelt: sie ist ein personifiziertes Medium für alle Einflüsse ihrer Umgebung - nicht nur die der Auftraggeber/Chefs/Verantwortlichen! Das heißt, durch sie wird die Figur, das Konstrukt, das sich jemand anderes ausgedacht hat, wirklich lebendig und dadurch unabhängig und nicht mehr berechenbar. Es ist Janes Körper, Janes Herz, Janes Präsenz im Kleid der Vorstellung eines Anderen. Durch ihre Verkörperung verselbstständigt sich das vorgenommene Werk in etwas Neues, ganz Eigenes - vielleicht ist es deshalb das erste Mal, dass ein Film-Festival ihr Tribut zollt. Denn auch die Medienwirkung ihrer Filme war nicht berechenbar.
So war Jane Birkin auch sehr überrascht, dass ihr Konzert im Volkstheater, wo sie Chansons von Serge Gainsbourg "arabesque" sang, bis auf den letzten Platz ausverkauft war, und sie so herzlich von dem Wiener Publikum aufgenommen wurde. Auch wenn sie keine göttliche, sondern nur eine menschliche Stimme hat, mit der sie authentische Anekdoten aus ihrem Leben sehr berührend mal in englisch mal in französisch erzählt. Sie tut es in Liebe zu den Menschen, mit denen sie lebt oder gelebt hat, und ohne Eitelkeit.
Die musikalische Zusammenarbeit mit dem algerischen Violonisten Djamel Benyelles und einer Gruppe nordafrikanischer Instrumentalisten eröffnet ihr die Dimension der Andersartigkeit von arabischer Musik und sie ordnet sich den neuen Anforderungen unter, doch immer auf ihre Art, in ihrem Vermögen. Das macht das Ergebnis nicht perfekt, und doch so berührend.
Der verführerischen Schönheit verschrieben, im auserwählten Ambiente, wohl inszeniertem Licht, auf der großen Bühne zu stehen und dabei uneitel, ein vertrautes liebevolles Wesen zu bleiben, ist ein Anspruch an die moderne Frau, an dem Ruan Lingya in ihrer Jugend im Shanghai der 1940er Jahre noch zerbrochen ist. Und auch so manch andere talentierte Frau in letzten Jahrzehnten - Jane Birkin hat überlebt.
Jetzt mit 59 Jahren beginnt eine neue Phase ihrer Verwirklichung, indem sie an ihrem eigenen Drehbuch schreibt, ihre eigenen Worte verfasst, die durch andere Menschen lebendig werden. Das Buch wird produziert, so dass wir - wenn wir aufmerksam die Presse verfolgen! - bald erfahren können, was das bisherige menschliche "Medium", Jane Birkin, uns aus sich heraus erzählen wird. (Stephanie Lang)