Diese letztlich entfachte Euphorie im Publikum könnte man
auch als Dankbarkeit werten, dass Faithfull sich doch noch nach Wien begab und
trotz schwerer Krankheit zum Konzert bat. 2008 musste ja bekanntermaßen ihr
Auftritt beim Jazzfest Wien aus Krankheitsgründen - bei der Sängerin wurde Brustkrebs
diagnostiziert - abgesagt werden. Dankbarkeit, weil man die großartige Sängerin
und Songwriterin zumindest noch einmal in Wien live sehen konnte. Und so übertünchte der
Faithfull-Faktor doch so manche musikalische Patzer seitens der Band und
verfehlte Einsätze der Sängerin. Oft hatte man das Gefühl, dass Sängerin und
Band an gewisse Grenzen in ihrem Zusammenspiel stießen - die Band hatte zwar ihre sehr guten Momente,
war allerdings bei weitem nicht immer sattelfest, und so musste Faithfull die
Musiker manchmal regelrecht aufwecken, damit der Druck erhöht wird.
Interessanterweise galt das weniger bei den rockigen Nummern, sondern vielmehr
bei den ländlichen Liedern, wie z.B. bei "Kimbie" oder beim Merle
Haggard Hatscher "Sing me back home". Nein, mit Country konnte die Band nicht
wirklich umgehen, und so verkam auch die Shel Silverstein Nummer "The Ballad of
Lucy Jordan", immerhin Faithfulls größter Hit, beinahe zum Fiasko, da Sängerin
und Band in die Tempofalle gerieten. Nicht viel besser erging es übrigens "As
Tears Go By", ihrem ersten Hit überhaupt, was aber jedem egal war, da es eigentlich
eh nur zur Befriedigung des Publikums diente. Die wirklich starken Momente des
Konzerts lagen im rockigen Teil, hier wuchs Faithfulls lebenserfahrene Stimme
mit dem Sog der Songgewalt regelrecht zusammen, sei es in ihrer aufmüpfigen
Polit-Geste von "Broken English", sei es in ihrem Punk-Seitensprung in "Why D'Ya Do It", sei es in „Salvation“, einem Original vom
Black Rebel Motorcycle Club, nachzuhören auch auf Faithfulls jüngstem Album "Easy Come, Easy Go" (2008; naive/Lotus), das übrigens nicht das erste
Coverversionen-Album der Enkelin von Leopold von Sacher-Masoch ist, aber
möglicherweise ihr bislang bestes. Das liegt einerseits am Star-Ensemble mit
u.a. Keith Richards, Marc Ribot, Sean Lennon, Nick Cave, Antony, Rufus
Wainwright, und andererseits an der Auswahl der Lieder. Ob Jazz-Standards wie
Ellingtons "Solitude", Soul-Klassiker wie "Ooh Baby Baby" von Smokey Robinson
(mit der überirdischen Duo-Gesangsstimme von Antony) oder Lieder aus dem
Back-Katalog der Musikgeschichte von Randy Newman, Morrissey, Traffic, Brian
Eno - Faithfull überzeugt in allen Genres. Was auf dem Album so gut klappte
erwies sich im Konzert jedoch oft als Hindernis. Alle Musikgrenzen aufbrechen war
mit dieser Band, wie erwähnt, leider nicht möglich. Der alles überstrahlende
Moment im Konzert war aber dennoch kein härterer Rocksong, sondern eine Ballade
von Randy Newman, nämlich "In Germany before the War", das mit einem
gefühlvollen Intro aus der "Moritat von Mackie Messer" von Kurt Weill begann,
bevor sich die Band und die Sängerin in diesen großen Newman-Song regelrecht
reinkniete. Unterm Strich blieb am 4. Juli 2009 in der Wiener Staatsoper ein mittelmäßiges Konzert mit großen Songs und noch größeren Wehwehchen übrig. (Text: Robert Lewski; Fotos: Rainer
Rygalyk)
CD-Tipp:
Marianne Faithfull – Easy Come, Easy Go
Musik: @@@@@
Klang: @@@@@
Label/Vertrieb: naïve/Lotus (2008)
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