Wien Collage Andreas Dorau

So manche Wiener träumen vom Meer, so manche Hamburger – und damit ist nicht die amerikanische Fast-Food-Variante gemeint, sondern Einwohner*innen der drittgrößten deutschsprachigen Stadt – hingegen von Wien, so auch Andreas Dorau.

Andreas Dorau Pressefoto WienWien ist eine Eitelkeit und ein Liebesschwur und oft genug auch ein Lied. Es muss ja nicht immer ein Wienerlied sein, um Wien zu besingen, es muss auch nicht immer ein Austropop-Lied (oder wie immer man es nennen möchte) sein, das Wien ins Zentrum rückt, es kann ja auch mal aus der touristischen Perspektive besungen werden. Und genau das macht Andreas Dorau aus Hamburg. Der Reisekoffer ist gepackt, die Erinnerungen sind bereits draufgeklebt. "Ganymed hat mir immer sehr gut gefallen", erzählt Andreas Dorau, und meint damit nicht die griechische Heldenfigur, sondern die österreichische Band aus den späten 1970er Jahren mit ihrem Disco-Sound und Synthie-Pop, eingebettet in futuristischen Weltall-Klängen, zur Schau stellend in aberwitzigen Kostümen, deren Band-Logo auf dem Reisekoffer zu sehen ist. Das Ende der Band aus Wien fiel zeitnah mit dem Beginn der Karriere von Andreas Dorau zusammen, der 1981 sein Debüt-Album "Blumen und Narzissen" (Ata Tak) veröffentlichte und gegenwärtig bei Album Nummer 16 angekommen ist. Programmatisch-pragmatischer Titel des Albums: "Wien" (Tapete).

Es sind Spaziergänge, die locken, der Regen, die Liebe und die Schlaflosigkeit und nicht zuletzt Wolfgang von Kempelens Sprechmaschine. 13 Lieder, die einen liebevoll-seltsamen Blick auf die österreichische Hauptstadt werfen und mit einer sehr eigenständigen wie eigenwilligen musikalischen Architektur aufwarten. Andreas Dorau ist ein Präzisionskünstler, der es geschickt versteht Wien-Codes in seine Texte einzuschleusen. Wir begegnen Heimito von Doderer, Thomas Bernhard und Valie Export, drehen eine Runde im Riesenrad ("Das Ding ist achtzig Jahre alt / Es knirscht und mir ist kalt"), schließlich taucht auch noch "Ein grässlicher Mann / Ein Bärtchen trug er" auf, und nicht zuletzt der bereits erwähnte Wolfgang von Kempelen, der 1769 den sogenannten Schachtürken vorstellte – ein scheinbarer Schachautomat, bei dem in dem Gerät ein verborgener menschlicher Schachspieler mit Hilfe einer kunstreichen Mechanik die Schachzüge einer türkisch gekleideten Puppe steuerte. Andreas Dorau Wien Albumcover23 Jahre später baute von Kempelen in Wien den ersten funktionstüchtigen Sprechapparat zur Hervorbringung menschlicher Sprachlaute. Diese Sprechmaschine ist die erste grundsätzlich funktionstüchtige Konstruktion zur Sprachsynthese überhaupt. "Dieses Lied musste sein", meint Andreas Dorau, auch wenn es stilistisch (musikalisch wie textlich) einen Bruch zu den restlichen Liedern markiert und von daher völlig zurecht am Schluss des Albums platziert ist. Andreas Dorau erklärt in dem Lied Schritt für Schritt die Funktionsweise der Sprechmaschine. Es ist gewissermaßen eine Bedienungsanleitung mit Musik.

Gänzlich anders die davor zu hörenden 12 Lieder, allesamt typische Dorauer, wenn man so will. Seine Texte waren im Prinzip immer schon vertonte Lyrik, wenn er zum Beispiel in seiner unnachahmlichen Art singt, "Autos fahren unten vorbei / Alles klingt anders selbst die Polizei / Der Teppichboden hat gewagtes Design / Trotz Bibel im Nachttisch ich schlafe nicht ein". Musikalisch wirkt das alles zudem deutlich jünger als Andreas Dorau an Lebensalter ist. Was auch mit seiner Gesangstimme zu tun hat, die sich sehr unverbraucht anhört. Andreas Dorau meinte im Gespräch, dass es dem Umstand geschuldet sei, kaum jemals live aufgetreten zu sein. "Wien", das Album – die Stadt soundso – kann einiges, viel gutes. Doraus Synthie-Pop-Sounds gepaart mit seiner an Naivität der Jugend erinnernden Stimme sind für Neueinsteiger möglicherweise gewöhnungsbedürftig, für alle anderen ist es ein Album, das im Dorau-Ranking weit oben zu finden ist. //

Text: Manfred Horak
Fotos: Sönke Held, Tapete Records

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