Unseren herzlichen Glückwunsch, lieber Buch- und Musikalienhändler Amazon! Mit einem simplen wie raffinierten Schachzug ist es Dir in deinem unermüdlichen Streben nach Verbesserungen im Kunst- und Kulturbereich gelungen, die Kunstförderung in Österreich zu Fall zu bringen.
Diese Förderung bestand bisher aus zwei Säulen:
1. Finanzierung durch Subventionen von Bund, Ländern und Gemeinden;
2. Unterstützungen von Verwertungsgesellschaften aus der Vergütung für die Privatkopie [SKE – Soziale und kulturelle Einrichtungen].
Es hat in der Geschichte der Kopiervergütungen immer wieder jemand, wie z. B. Sony in Frankreich, irgendwann einmal versucht, nichts für die Nutzung künstlerischer Werke zu bezahlen, da hast Du, Amazon, dir bestimmt gedacht, das müsste doch auch in Österreich zu machen sein.
Du weigerst dich seit zehn Jahren standhaft, die Privatkopie-Vergütung in Österreich an die Austro Mechana zu überweisen, so dass diese zu Gericht gehen musste. Ihre Klage wurde abgewiesen, und Du hast drei Fliegen auf einen Schlag erledigt: die dein Geschäft störende legale Privatkopie, das europäische Urheberrecht und die Kulturförderung. Die SKE-Fonds sind leer. Das noch vorhandene restliche Geld besteht nur noch auf dem Papier, es ist keinen Cent mehr wert. Förderungen sozialer und kultureller Art sind nicht mehr bloß gefährdet. Sie mussten bereits eingestellt werden. Zur Gänze.
Ein Standbein ist amputiert worden. Das zweite muss das ganze Gewicht alleine tragen.
Auf der Strecke bleiben Tausende Antragstellerinnen und Antragsteller von Kleinsubventionen in Betragshöhen von 1.000 bis 3.000 Euro. Künstlerische Projekte, die sich nur teilweise selbst finanzieren können, wurden bereits abgewürgt. Soziale Unterstützungen können nicht mehr ausbezahlt werden.
Danke, Amazon, für diesen für Amazon kleinen und für uns großen Schritt zur Beseitigung der in Österreich bestehenden Kunst und Kulturförderungsmaßnahmen, den nur mehr der OGH unwirksam machen kann.
Gerhard Ruiss, IG Autorinnen Autoren
Peter Paul Skrepek, Musikergilde
Reinhard Pirstinger, Peter Gallaun, Gewerkschaft-Musik Younion
Bruno Strobl, Internationale Gesellschaft für Neue Musik, IGNM-Österreich
Richard Graf, IG Niederösterreichische Komponistinnen-INÖK
Morgana Petrik, Österreichische Gesellschaft f. Zeitgenössische Musik-ÖGZM
Harald Huber, Österreichischer Musikrat ÖMR
Astrid Heubrandtner, Verband österreichischer Kameraleute
Katrin Pröll, IG World Music Austria
Petra Ganglbauer, Grazer Autorinnen Autorenversammlung
Werner Richter, IG Übersetzerinnen Übersetzer
Dr. Karin Berger, Institut Pitanga, Verein zur Förderung und Vermittlung von Wissenschaft und Kultur, Kinderfilmfestival
Sophie Reyer, BOeS – Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen
Hannes Vyoral, Literaturkreis Podium
Alexander Hirschenhauser, VTMÖ – Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzentinnen Österreich
Helmuth A. Niederle, Doris Kloimstein, österreichischer PEN Club
Mehr als 3700 Personen und Organisationen unterstützen bisher diesen Protest.
Die österreichische Leerkassettenvergütung 1980
Das Verfahren austro mechana gegen Amazon - Chronologie
2007
Die austro mechana, die österreichische Musikverwertungsgesellschaft für mechanische Rechte, bringt in Wien und München gegen insgesamt fünf Gesellschaften von Amazon Klage wegen Nichtentrichtung der Leerkassettenvergütung ein. Während des Verfahrens in Wien ruht das Verfahren in München.
Amazon behauptet, dass die Zahlung der Leerkassettenvergütung für Österreich-Verkäufe zu einer Doppelzahlung führen würde, da bereits in Deutschland Leerkassettenvergütung bezahlt werden müsse. In einem Schreiben von Amazon an die Zentralstelle für private Überspielungsrechte der deutschen Verwertungsgesellschaften (ZPÜ) vertritt Amazon den Standpunkt, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen für die Österreich-Exporte eine Refundierung der deutschen Leer-kassettenvergütung gar nicht möglich sei und daher von Amazon keine Ansprüche auf Rückvergütung gestellt werden würden. Überdies wird die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte bestritten.
9. September 2010
Urteil in erster Instanz. Das Handelsgericht Wien bestätigt die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte und bestätigt die Ansprüche der austro mechana gegen Amazon. Amazon beruft gegen das Urteil.
31. Jänner 2011
Das Oberlandesgericht Wien übernimmt die Feststellung des Erstgerichtes und gibt der Berufung nicht statt. Amazon legt gegen die Entscheidung Berufung ein, da die österreichischen Bestimmungen zur Leerkassettenvergütung nicht mit den Vorgaben des Europarechts in Einklang stehen würden. Zusätzlich zu den bereits reklamierten Doppelzahlungen, weil bei nach Österreich verkauftem Trägermaterial die Vergütung bereits in Deutschland bezahlt worden sei, werde die Leerkassettenvergütung unterscheidungslos auf private und gewerbliche Nutzer angewendet. Amazon begehrt weiters, der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) möge beim Gerichtshof der Europäischen Union ein Vorabentscheidungsverfahren einleiten.
20. September 2011
Der Oberste Gerichtshof legt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zahlreiche Fragen zur Vorabentscheidung vor. Diese beziehen sich auf das österreichische Rückvergütungs-system und auf die Verwendung der eingehobenen Mittel für die SKE Fonds, die sozialen und kulturellen Einrichtungen der Verwertungsgesellschaften, sowie auf die mögliche Doppelzahlung der Leerkassettenvergütung durch Zahlung in einem anderen EU-Land und in Österreich.
6. Dezember 2012
Mündliche Verhandlung vor dem EuGH. Amazon liefert kein Trägermaterial, wie CDR, DVDs, USB-Sticks, mehr nach Österreich. Festplatten werden weiterhin nach Österreich geliefert. Diese sind vom bisherigen Klagebegehren noch nicht umfasst und werden erst 2013 separat eingeklagt, woraufhin Amazon auch diese Lieferungen einstellt. Über Versandlager wie LogoiX, die österreichischen Kunden Alias-Adressen in Deutschland anbieten, werden sie aber unter Umgehung der österreichischen Leerkassettenvergütung weiter nach Österreich geliefert.
2013
Seit 2013 versucht die austro mechana zudem gegen Lieferungen von Handys mit Musikplayer-Funktion („Musikhandys“) ohne Bezahlung der Leerkassettenvergütung vorzugehen. Geklärt werden soll, ob es eine Klagemöglichkeit in Österreich gibt, obwohl mittlerweile keine Niederlassung von Amazon mehr in Österreich besteht. Diese Frage der Zuständigkeit der österreichischen Gerichte liegt seit 2014 ebenfalls dem EuGH vor und ist für alle Verwertungsgesellschaften in Europa von großer Bedeutung, könnten diese bei positivem Ausgang für die austro mechana doch die Amazon-Gruppe in ihrem eigenen Mitgliedstaat und nicht nur an ihrem Sitz in Luxemburg klagen.
11. Juli 2013
Der EuGH stellt in seiner Entscheidung über die vorgelegten Fragen fest, dass die Einhebung der Vergütung und die Ausnahmemöglichkeiten für gewerblich genutzte Speichermedien in Österreich der einschlägigen europäischen Richtlinie entsprechen. Auch der Abzug für die sozialen und kulturellen Einrichtungen sei mit dem Europarecht zu vereinbaren. Durch die nationalen Gerichte zu prüfen sei, ob das Rückvergütungssystem durch die austro mechana keine übermäßige Belastung für die betroffenen Berechtigten darstelle und ob die Mittel der SKE tatsächlich den Bezugsberechtigten ohne Diskriminierung von EWR-Bürgern zugute kommen würden. Dass Amazon als ausländischer Versandhändler für nach Österreich gelieferte Medien vergütungspflichtig ist, wird nun auch von Amazon nicht mehr in Frage gestellt.
27. August 2013
Der OGH hebt die Urteile der Vorinstanzen auf und weist das Verfahren zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zur Überprüfung der Vorgaben des EuGH an das Erstgericht zurück.
21. Oktober 2013
Einbeziehung von USB-Sticks in die Klage, da zum Zeitpunkt der Klageeinbringung im Oktober 2007 noch keine Leerkassettenvergütung auf USB-Sticks existierte, diese wurde erst ab 2009 eingehoben.
2. Juni 2014
Das Handelsgericht Wien kündigt umfassende Feststellungen in seiner Behandlung an, die dazu beitragen sollen, das Verfahren im weiteren Verlauf möglichst bald endgültig abzuschließen.
8. Oktober 2014
Ganztägiger Verhandlungstermin vor dem Handelsgericht Wien mit Zeugeneinvernahmen, bei dem darüber hinaus umfangreiche Unterlagen zu den Themenbereichen Freistellung bzw. Rückzahlung und zu den SKE-Fonds vorgelegt werden.
11. Februar 2015
Letzte Zeugeneinvernahmen und Schluss des Verfahrens erster Instanz.
25. August 2015
Die Klage der austro mechana gegen Amazon wird vom Handelsgericht Wien abgewiesen. Begründet wird dieses Urteil damit, dass die austro mechana Privaten Rückvergütungen hätte gewähren müssen, wenn diese bescheinigten, Leermedien nicht für private bzw. eigene Zwecke zu verwenden. Dies wurde aber nicht getan, weswegen die vorgelegten Beweise über die allgemeine Bekanntheit des Rückzahlungssystems keine Aussagekraft hätten, zumal sie den privaten Bereich aussparen würden. Es sei schon deswegen eine Bekanntheit der Möglichkeit von Rückvergütungen, wie sie vom EuGH vorgesehen ist, nicht gegeben. Weiters hätten die SKE der betroffenen Verwertungsgesellschaften zwar nie aktiv diskriminiert, doch würde die Art und Weise, wie die Richtlinien der SKE gestaltet seien, eine abschreckende Wirkung auf ausländische Berechtigte haben. Der klare, wiederkehrende Österreich-Bezug führe zu einer mittelbaren Diskriminierung. Daher würde auch aus diesem Grund den Bedingungen des EuGH zu einem europarechtskonformen System nicht entsprochen und die Zahlungspflicht von Amazon würde entfallen. Die austro mechana legt gegen das Urteil fristgerecht Berufung ein.
28. Dezember 2015
Das Oberlandesgericht Wien (OLG Wien) gibt der Berufung der austro mechana nicht statt. Es bestätigt vielmehr den Standpunkt von Amazon, es geht allerdings nur auf die Thematik der Rückvergütungen an Private ein. Das Verfahren landet nach einer Revision der austro mechana daraufhin neuerlich beim Obersten Gerichtshof.
Vorläufige Bilanz
Im Wesentlichen wurden die Fragen der Einfachheit des Rückzahlungssystems und der praktischen Schwierigkeiten einer Alternativlösung vom Gericht im Sinne der austro mechana beantwortet, es hat auch keine "aktive Diskriminierung" durch die SKE stattgefunden und wurden die kulturellen Einrichtungen der SKE als nicht diskriminierend festgestellt.
Falsch ist in der richterlichen Begründung die Bezugnahme auf eine EuGH-Rechtsansicht, die austro mechana müsste Privaten Rückvergütungen gewähren, wenn diese bescheinigten, keine Privatkopien anzulegen. Dieser Schluss bezieht sich auf eine missverständliche Formulierung des OGH im Jahr 2011, der EuGH hat eine solche Feststellung nie getroffen. Im Gegenteil sagt der EuGH in all seinen bisherigen Entscheidungen, dass die technische Eignung der Geräte bei gleichzeitiger Überlassung an Privatpersonen ausreiche, die Vergütung zu begründen. Ein konkreter Nachweis der Nutzung (bzw. ein Gegenbeweis) ist nicht notwendig. Auf natürliche Personen, die ein Unternehmen betreiben bzw. einen Freiberuf ausüben, trifft die Vergütungspflicht hingegen nicht zu. Diesen Vorgaben ist die austro mechana immer gefolgt. Ob die Sozialen und Kulturellen Einrichtungen SKE der Verwertungsgesellschaften diskriminierend oder nicht diskriminierend sind, ist nur im Kontext des Gesamtsystems zu beleuchten. Es gibt bei der Aufnahme als Bezugsberechtigter von Verwertungsgesellschaften keine Einschränkungen nach nationaler Zugehörigkeit oder wo jemand seinen Wohnsitz hat. Dass nur Bezugsberechtigte Zugang zu den Leistungen der SKE der jeweiligen Verwertungsgesellschaft haben, ist allen Verwertungsgesellschaften immanent und kann keine Diskriminierung von Bezugsberechtigten anderer oder von keinen Verwertungsgesellschaften darstellen. Die Mitgliedschaft bei einer Verwertungsgesellschaft ist der freien Entscheidung jedes einzelnen überlassen.
Das OLG Wien hat seine Entscheidung nicht wesentlich begründet, sondern ist vielmehr der ersten Instanz in der Frage der privaten Rückvergütungen gefolgt. Auf die Frage der SKE-Diskriminierung ging es gar nicht ein. Im Endeffekt sprechen die meisten Juristen übereinstimmend von einem "Durchwinken" an den OGH, was auch die rasche Entscheidung erklärt.
Der endgültige Ausgang des Verfahrens ist frühestens für Ende 2016 zu erwarten. Der OGH könnte das Verfahren erneut in die erste Instanz zu weiteren Beweisaufnahmen zurückverweisen oder den EuGH um eine weitere Auslegung ersuchen, zu erwarten ist das aber nicht.
Das Verfahren gegen Amazon über seine Zahlungspflicht als Importeur auf der Grundlage der seit 1980 in Österreich gesetzlich bestehenden Leerkassettenvergütung wird somit erst nach rund 10 Jahren Verhandlungsdauer seinen Abschluss finden. //
Zusammenfassung: Gerhard Ruiss (Stand 13.10.2016)
Grafik: Einnahmen aus der Leerkassettenabgabe 2000-2015
Screenshot: Amazon.de