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Die 3-Tages-Festival-Kritik und Stimmungsbericht über launige Bands und andere Showcase-Ereignisse.

Das österreichische Showcase Festival Waves Vienna fand 2018 nun schon zum achten Mal statt. In seinen Anfangsjahren waren die Venues, auf denen die Bands auftraten, noch über die ganze Stadt verteilt, mittlerweile befinden sich die 10 Bühnen jedoch durch angenehm kurze Wege verbunden, im WUK und umliegenden Gebäuden. Das neue Konzept ist ein gutes, vor allem da sich das WUK im 9. Bezirk, das mit seiner Backsteinverkleidung einerseits so einladend und gleichzeitig geheimnisvoll auf den Besucher wirkt, wirklich wunderbar als Austragungsort einer Veranstaltung wie dieser eignet. Christina Masarei (Text) und Anja Pöttinger (Foto) waren für Kulturwoche.at beim Waves Vienna unterwegs. Hier geht es zur Festivalkritik von Tag 1.


Tag 1

Weil das Waves Vienna ein Showcase-Festival ist, aber wohl auch, weil das Line Up sehr divers und genreübergreifend ist, ist das Publikum hörbar international. Beim Streifen durch das Festivalgelände vernimmt man Wortfetzen in allen nur erdenklichen Sprachen. Auch das Stimmengewirr beim Auftritt der großartigen Band Pauls Jets ist aus vielen Sprachen zusammengesetzt. Sie scheinen, obwohl durch und durch wienerisch, in ihrem Auftreten und ihren Texten, von allen im Publikum verstanden zu werden.
Im Anschluss an Pauls Jets betritt die entzückende Cléa Vincent aus Paris die Bühne der WUK Halle, die das Publikum mit ihrem charmant gehauchten Pop sofort für sich einnimmt. Cléa Vincent macht Musik, wie man sie heutzutage leider viel zu oft hört, elektronische, tanzbare, Popstücke mit allerhand 1980er-Anleihen. Trotzdem schwingt auch etwas Originalität in ihren französischen Liedern mit und die Menge tut sich nach ihrem Auftritt zurecht schwer damit, sie gehen zu lassen.
Danach beginnt nebenan im WUK Foyer der junge Londoner Jamie Isaac mit seinem Set aus jazzigem Ambient-Rock. Die Autorin dieser Zeilen wurde leider pünktlich zu Beginn des Festivals von einer kleinen Erkältung heimgesucht, verursacht aus Arbeiten im Großraumbüro und Herbsteinbruch. Diese erweist sich allerdings als förderlich beim Genießen von Jamie Isaacs Musik. Was unter normalen Umständen etwas monoton und einschläfernd geklungen hätte, erweist sich in leicht fieberndem Zustand als durchaus angenehm. Wie eine heiß aufgegossene Tasse Neocitran, benebelt die basslastige Soul-Musik alle Sinne und lässt einen Song für Song vor der Bühne verweilen.
Das Highlight des ersten Festivaltages liegt dann aber wieder in der Hand von Wienern. Thirsty Eyes, die mit jedem gespielten Konzert noch ein bisschen besser werden (und das will was heißen, waren sie schließlich schon von Anfang an richtig, richtig gut), stoßen zurecht auf anerkennendes Nicken im Publikum. 
Vor allem mit ihren Singles "Slothchild" und "838" beweist die Band, dass sie weiß, wie man Hits schreibt. Auch der Song "Touch the Weather" kommt an, ein Lied das sie, wie sie auf der Bühne verkünden, einer von ihnen sehr geschätzten Band widmen.
Damit sind wohl Fat White Family gemeint, deren Song "Touch The Leather", nicht nur in seinem Titel dem Song von Thirsty Eyes ähnelt.
Es könnte alles so wunderbar sein, dennoch lässt sich Sänger Samuel es sich nicht nehmen ein paar Spitzen gegen die Festival-Organisatoren zu verteilen. "We hate this festival and refused to play here two times", lässt er verlautbaren, woher der Hass auf das Festival kommt, bleibt unerklärt. 
Auch etwas störend ist, dass die Band auf der Ottakringer Stage spielt, die etwas zu posh und aufgeräumt für die Band ist. Sie passen mit ihrem Sound, der mehr nach Echo Park, L.A., als Alsergrund, Wien klingt, eher auf kleine Bühnen, in verrauchte, enge Pubs.
"We despise this festival and only play because of the band that is on after us", setzt Samuel Ebner am Schluss noch nach.
Man hat den Besuch von Thirsty Eyes also wohl Warmduscher zu verdanken, die am ersten Abend die Ottakringer Stage headlinen. Zusammengesetzt aus Mitgliedern von Fat White Family und Childhood bringt die Band aus London diesen Abend zu einem würdigen Ende und den halben Saal zum Tanzen. Hier geht es weiter zur Festivalkritik von Tag 2.


Tag 2

Der zweite Tag des Festivals führt gekonnt weiter, was der erste Tag begonnen hat. Einen niemals endenden Fluss aus Musik, egal wohin man sich bewegt, in jedem Raum wird Musik ans Ohr getragen.
Der erste Act, den ich mir ansehe, führt nach draußen, in den Innenhof der Modeschule Michelbeuern. Dicht and dicht reihen sich die Menschen - die mit dicken Schals und mit Bier die Kälte zu vertreiben versuchen - vor der Open Air Stage gegenüber des WUK. Dort macht gerade die Münchner Band Die Sauna Soundcheck. Man ist gespannt auf das was kommt, denn die angespielten Songs klingen vielversprechend. Als der Sänger, der eine etwas unangenehme Ähnlichkeit mit Chad Kroeger aufweist, im Rahmen des Soundchecks "yolo, yolo", in sein Mikro ruft, wird jedoch der Drang groß, sich doch zu einer anderen Bühne zu begeben. Das Gefühl wird verstärkt, als die Band mit ihrem Set beginnt und der Sänger etwas unbeholfen wirkende Tanzeinlagen aufs Parkett legt. Trotzdem muss man einräumen, dass der Sound der Band kein schlechter ist, manche Songs sogar richtig gut sind und man nicht umhinkommt, es ab und zu dem Sänger mit dem Tanzen gleichzutun. Die Musiker scheinen alle gut aufeinander eingespielt zu sein. Vor allem Keyboarder und Bassist der Band verstehen ihr Handwerk und so bleibe ich dann doch beinahe bis zum Ende der Show.

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Positiv hervorheben muss man am Waves Festival vor allem die überaus freundlichen Mitarbeiter. Mittlerweile wird man ja auf Konzerten und Festivals oft wie auf Flughäfen behandelt, also wie ein potentieller Terrorist. Die Securities am Waves Festival sind jedoch größtenteils sehr entspannt und den Gästen wohlgesonnen, was definitiv dazu beiträgt, dass das Festival ungestört genossen werden kann. 

Schon am ersten Tag haben viele Besucher die Lektion gelernt, dass man sich besser zu früh, als zu spät vor den Bühnen einfindet, wenn man eine Band unbedingt sehen will. Bei manchen Stages herrscht nämlich schon weit vor Beginn der einzelnen Auftritte ein temporärer Einlass-Stopp, aufgrund der überfüllten Hallen. Pressyes zum Beispiel, waren daher für mich nur aus dem Vorraum hörbar.
Dann also stattdessen schnell ins WUK Beisl, wo die aus Göteborg stammende Band Holy Now bereits mit ihrem Auftritt begonnen hat. Dies wäre ihr erstes Konzert in Wien, verkündet die Sängerin Julia Olander (ein Umstand, der die meisten Bands am Festival-Line-Up eint) und hoffentlich nicht ihr letztes. Der Dream Pop, der Olanders sanfte Stimme unglaublich gut zur Geltung bringt, ist nämlich ein wahrer Genuss! Das war dann eigentlich nur noch vom magischen Set des Headliners Mile Me Deaf zu toppen. Hier geht es weiter zur Festivalkritik von Tag 3.


Tag 3

Am dritten Tag des Festivals merkt man manchen Besuchern bereits die Anstrengungen eines 3-tägigen Konzertmarathons und des Alkoholkonsums, der für manche damit einhergeht, an.
Zeit also, sich eine Band anzusehen, die selbst Tote wieder auferwecken könnte. "Wir sind Gewalt und das klingt so", leitet Patrick Wagner den Auftritt seiner Band ein und Sekunden später hämmert eine Drum Machine durch die WUK-Halle, deren bedrohlicher Sound von blauem Sirenenlicht untermalt wird. Den Rat einer Freundin, zum Auftritt der Band unbedingt Oropax mitzubringen, geflissentlich ignoriert, ist mein Trommelfell nun ungeschützt den aggressiven Industrial/Post-Punk-Lauten der Band aus Berlin ausgesetzt, gewöhnt sich aber schnell an den Lärm. 
"Nach Wien zurückzukommen, ist wie zu einer Seemannsbraut zurückzukehren. Einer alternden Seemannsbraut", sinniert Wagner in Richtung Publikum, das nicht ganz weiß, ob diese Worte nun als Kompliment oder als Kritik aufzufassen sind und dessen Applaus daher eher verhalten ausfällt. Das registriert der Sänger der deutschen Post-Punk Band jedoch sofort und kontert mit "Ja, Ihr seid die strengsten, Wien, aber wir sind auch die strengste Band." Und schon geht es weiter, mit Lärm, Lärm, Lärm und Texten über Arbeit, Krankheit, Tod und Trennungen. 
Patrick Wagner trägt bei allen Auftritten seinen Hochzeitsanzug, der - rostverschmiert und verschwitzt - wohl sinnbildlich für das Einrosten und Enden seiner mittlerweile geschiedenen Ehe steht. 
Während aus dem Publikum ironisch anmutende lauter!-Rufe ertönen, spielen Gewalt den laut Wagner "zweitbeste Song, den ich je geschrieben habe", gefolgt von dem "besten Song, den ich je geschrieben habe", am Schluss verabschiedet er sich mit "Wir sind die beste Band der Welt!" Superlative und Arroganz passen zum Auftreten der Gruppe. Man glaubt ihnen in dem Moment auch tatsächlich, dass sie die beste Band der Welt sind. Wie soll man auch anders, wenn man die Statements der Band so reingeprügelt bekommt, wie es Gewalt mit ihrem bis zum Anschlag aufgedrehten Verstärken machen.

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Die Ohren rauschen noch und verlangen dennoch nach mehr, also Szenenwechsel auf die Deezer Next Stage, wo gleich Pom Poko aus Norwegen ihren Auftritt bestreiten werden. 
Die Band ist gekleidet, wie eine Gruppe Tanzwütiger aus einem 1980er Jahre Aerobic Video, Shorts und Sportshirts in grellen Farben und Mustern und machen damit schon Lust aufs Tanzen, noch bevor sie überhaupt mit ihrem Auftritt begonnen haben. Es ist schon ziemlich lustig, dass die Band in einem Raum spielt, der ja eigentlich zu einer Schule gehört. Die Bandmitglieder sehen in ihren Outfits nämlich aus wie Charaktere aus einem High School Film, die Sängerin Ragnhild Fangel wie die Homecoming Queen, der Drummer wie der Geek, der Gitarrist wie der Jock, und der Bassist wie der Kapitän der Football Mannschaft. Der Pop Punk der Band klingt dann auch sehr nach 1980ern, mit einfachen, eingängigen Riffs und Lyrics und Beats, die selbst dem größten Melancholiker im Publikum ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Den Abend und damit das gesamte Waves Festival schließt für mich Tamino ab, Indie -Dreamboat aus Belgien.
Der in Antwerpen aufgewachsene junge Mann mit ägyptischen Wurzeln, wird andächtig vom Publikum angehimmelt, während er seine vor Poesie und tiefen Gefühlen triefenden Songs vorträgt. Die andächtige Stimmung wird jedoch immer wieder von laut redenden und lachenden Menschen unterbrochen. Dauerredende Menschen sind leider generell ein immer wiederkehrendes Ärgernis auf Konzerten, meistens zeigen sich Bands davon jedoch relativ unbeeindruckt. Nicht so Tamino. Dieser unterbricht mehrmals seine Songs und weigert sich, weiterzuspielen, bevor sich die Menge nicht beruhigt hat. "Fuck this, if you want to talk, do it somewhere else", raunzt er in verletztem Tonfall ins Mikrofon. 
"It's a showcase festival, I know and it's always the music industry people who tend to talk the most during concerts, because they know oh so much about music", meint er sarkastisch und erntet damit Gelächter und Applaus.
Bei aller berechtigten Kritik an Kommerzialisierung von Musik und Konzertgängern, die den Menschen auf der Bühne und ihrer Kunst zu wenig Respekt zollen, muss ich Thirsty Eyes und Tamino in einem widersprechen: Das Waves Festival ist schon ziemlich liebenswert! //

Text: © Christina Masarei

Fotos: © Anja Pöttinger