Gerhard Ruiss erhält 2016 den NÖ Würdigungspreis für Literatur und diese erfreuliche Tatsache ist freilich ein guter Anlass ihn wieder einmal ein paar Fragen beantworten zu lassen.
Themen, worüber man mit Gerhard Ruiss sprechen kann, gibt es ja immer sehr viele, für dieses Interview spannen wir den Bogen mit - eh klar! - Literatur und zielen auf den Literaturnobelpreisträger Bob Dylan bis hin zu Ruissens literarischer Ahnengalerie, aber auch auf politische Themen wie Rechtsstaat vs Nationalstaat, und warum Kulturschaffende Facebook, Amazon & Co eher nicht als Freunde betrachten sollten. Eine Auszeichnung bietet auch Platz um auf sein eigenes Schaffen und Wirken zurückzublicken, denn immerhin ist Gerhard Ruiss seit knapp 40 Jahren als Autor und in kulturpolitischen Agenden unterwegs. Unermüdlich. Unerschrocken. Zum Ärgernis vieler, aber noch mehr sind darüber dankbar.
Kulturwoche.at: Im November 2016 erhältst du den NÖ Würdigungspreis für Literatur. Abgesehen von der erfreulichen Tatsache einer monetären Zuwendung: Welchen Stellenwert hat für dich dieser Preis, auch, weil du in der breiten Öffentlichkeit eher als Sprachrohr für österreichische Autorinnen und Autoren bekannt bist und weniger als Autor?
Gerhard Ruiss: In meinen Fall funktioniert der Würdigungspreis auch als Umleitung von meiner Rolle als Sprecher für alle auf etwas alleine von mir. Auf Bühnen oder sonstwo in der Öffentlichkeit etwas Eigenes oder von anderen zu präsentieren, ist mir immer relativ leicht gefallen, etwas entgegennehmen zu sollen, das mir gewidmet ist, hat bei mir aber meistens sofort zu Abwehrreflexen geführt. Kurzum: Man kann mich jetzt auszeichnen, weil ich in der Lage bin, Dankreden zu halten. Ich muss niemanden brüskieren und niemandem zu Gefallen sein, ich kann von dem reden, was mein Leben ausmacht und bestimmt. Einerseits war meine literarische Produktion immer von meinen anderen Funktionen überlagert, andererseits habe ich mich selbst immer wieder vom literarischen Schreiben und mehr noch vom Veröffentlichen wieder zurückgezogen, um etwas anderes zu versuchen oder zu wollen, Theater zu spielen oder Musik zu machen. Ich habe die längste Zeit meiner Rolle als Autor nicht getraut und schon gar nicht einer Rolle von mir als Dichter.
Bob Dylan erhält 2016 den Literaturnobelpreis. Georg Renner (NZZ.at) meinte, es sei "aus Sicht des Buchhandels eine Katastrophe“" was ich nicht finde, schließlich gibt es ja (u.a.) nicht nur sämtliche Liedtexte von Bob Dylan in Buchform, sondern auch jede Menge Sekundärliteratur über ihn. Martin Blumenau (FM4) wiederum monierte, dass Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur viel zu spät erhält, "zu einem Zeitpunkt, wo die Neuschöpfungen längst ihr Zerfalls-Datum erreicht haben, die amerikanische Song-Tradition in der Beliebigkeit zerfasert ist". Ich meine, besser spät als nie. Wie bewertest du die Entscheidung der Akademie?
Ein Literatur-Nobelpreis für Bob Dylan hätte Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre große Sprengkraft gehabt, jetzt wirkt er wie eine Nachreichung für die versäumte Wahrnehmung der Wirkung der Beatpoeten und der Protestsongkultur. Als Teilnehmer dieser Protestkultur bzw. Jugendkultur bringt einen die jetzige Auszeichnung ein wenig in Verlegenheit, als sollte man angehalten werden, alten Zeiten nachzutrauern. Die Überraschung war eher, es bekommt jemand den Nobelpreis in einem literarischen Außenseitergenre. Insofern ist dem Nobelpreis-Komitee doch etwas gelungen. Nur die Begründung war etwas seltsam. Man hätte Dylan nicht für seine "poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songproduktion" auszeichnen müssen, es hätte auch genügt, ihn für seine Songtexte auszuzeichnen, ohne "Songproduktion" und bezogen auf Amerika. Dylan ist in seinen Liedern weder banal noch geschwätzig, also ist es Literatur. Und der Nobelpreis für Literatur für ihn entspannt zusätzlich alle, die sagen, es kommt in der Musik auf den Text an. Jetzt versucht man jedenfalls vorerst einmal, Bob Dylan zu erreichen, damit man die Mitteilung seiner Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis auch ihm gegenüber direkt machen kann. Was die Verkaufbarkeit der Bücher durch die Auszeichnung mit dem Nobelpreis betrifft, so hat sie sich in den letzten Jahren bei den meisten Nobelpreisträgern in Grenzen gehalten, mit Dylan könnte der Buchhandel sogar andere Käuferschichten für sich gewinnen. Ich habe auf jeden Fall gleich den dicken Wälzer (Bob Dylan, Sämtliche Songtexte 1962 – 2001, Deutsch von Gisbert Haefs, Hoffmann und Campe; Anm.) mit den Dylan-Songs wieder herausgeholt, den Du mir vor ein paar Jahren zu meinem 60. Geburtstag geschenkt hast. Was Georg Renner aber wahrscheinlich gemeint hat, ist, es sieht so aus, als gäbe es unter den Buch- und Theaterautoren keine auszeichnungswürdigen Kandidaten mehr. Schon im Vorjahr wurde eine Publizistin und Essayistin ausgezeichnet, jetzt ein Singersongwriter, also könnte man glauben, unter den Dichtern, Erzählern, Romanschriftstellern und Dramatikern findet sich kein anderer auszeichnungswürdiger Autor, man muss sich woanders umsehen, in den Zeitungen und am Musikmarkt, so dass es dadurch zu einer Abwertung aller anderen Autoren kommt.
Diejenigen, die gewürdigt werden - wie z.B. Dylan und du - , widerspiegeln leider nicht, wie es in der Welt zugeht, man ist ja fast schon geneigt zu glauben, dass vielmehr das Gegenteil der Fall ist. Glaubst du, jetzt nur auf Österreich bezogen, dass ein Grund die Verrohung der Sprache ist? Oder, wie es von Karl Kraus überliefert heißt, angesprochen auf die Beschießung von Shanghai durch die Japaner im Jahr 1932: "Ich weiß, daß das alles sinnlos ist, wenn das Haus in Brand steht. Aber solange das irgend möglich ist, muß ich das machen, denn hätten die Leute, die dazu verpflichtet sind, immer darauf geachtet, daß die Beistriche am richtigen Platz stehen, so würde Shanghai nicht brennen."
Das Geschehen wird davon bestimmt, was wie benannt wird, natürlich auch, wie etwas umbenannt wird. Und weil es in der Literatur und überhaupt in der Kunst um Genauigkeit geht, kommt es auf jeden Beistrich an. Genauso auf jeden Punkt, wo, wann und wie man womit aufhört. Nimmt man es genau damit, was nicht geht, wird man Shanghai nicht in Brand schießen können. Man bekommt einen Würdigungspreis für etwas Zurückliegendes und viel mehr noch einen Nobelpreis, man bekommt solche Preise nicht für etwas eben erst Geschaffenes. Es ist dadurch leicht möglich, dass sich eine solche Auszeichnung nicht mehr mit dem gerade aktuellen gesellschaftlichen Geschehen deckt. Wenn man sich die Wiederkehr von Leuten auf politischen Bühnen ansieht, wie eines Trump, Orban oder Hofer, gegen die die Generation Dylans und meine angetreten sind, so decken sich solche Auszeichnungen mit dem, was es an anderen Darstellern und Darstellungen auf Welt- und Landesbühnen gibt, ganz sicher nicht.Es fallen derzeit alle Hemmungen, nicht bei den Hasspostern, da sind sie schon länger gefallen, sondern bei denen, die größte Ungeheuerlichkeiten mit ruhiger Stimme aussprechen können.
Zum großen Graben, der Österreich zurzeit teilt: Was kann man dagegen tun? Und: Was passiert, wenn Alexander van der Bellen die Wahl nochmals gewinnt? Was passiert, wenn Norbert Hofer die Wahl gewinnt? Und, und: Welche begründete Wahlempfehlung sprichst du aus?
Die Grundkonstellation ist klar, es kandidiert ein demokratischer Kandidat gegen einen Kandidaten aus dem nationalen Lager. Gewählt wird entweder die Fortsetzung der Demokratie oder die Wiedereinsetzung des Nationalstaats. Ob Nobert Hofer nun deutschnational burschenschaftlich denkt oder ob er das ständestaatliche österreichische Erbe nationalstaatlich antreten will, ist letztlich egal. Es ist ihm und seinen Freunden daran gelegen, die demokratischen Institutionen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und die demokratischen Institutionen zu entdemokratisieren. Wer Hofer wählt, wählt auch seine Geschichte, der wählt seine Äußerungen und seine Haltungen, der wählt auch einen Broschüren-Herausgeber über "Frauenrechte", in denen Frauen von ihren "Selbstbestimmungszwängen" befreit werden sollen, damit sie sich der "Brutpflege" widmen können. Wer Hofer wählt, wählt genauso seine rechten europäischen Freundschaften zu Orbán, Kaczynski, Petry oder Le Pen. Und wer wissen will, welchen Umgang solche Politiker mit den Rechten ihrer Bürgerinnen und Bürger haben, muss sich nur die Entwicklungen in diesen Ländern ansehen, in denen sie regieren. Das kann man als Demokrat nicht wollen, das kann man nur verhindern wollen, in dem man wählen geht. Wer Van der Bellen wählt, wählt den Rechtsstaat, wer Hofer wählt, wählt den Nationalstaat, ich sehe gar keine andere Wahl, als den Rechtsstaat zu wählen, weil die einzige andere Wahlmöglichkeit wäre, ich wähle den Rechtsstaat durch Nichtwählen oder durch die Wahl von Hofer ab.