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Du hast dich sieben Jahre lang intensiv mit dem Gesamtwerk von Oswald von Wolkenstein (1377-1445) beschäftigt. Daraus sind drei Bände entstanden. Nachdichtungen von dir, veröffentlicht im Folio Verlag. Mittlerweile arbeitest du an einer Vertonung einiger Texte von Wolkenstein, der ja nicht nur einer der bedeutendsten Dichter unserer Sprache ist, sondern auch einer der wichtigsten Komponisten seiner Zeit war. Du hast ihn einmal mit Bob Dylan verglichen, weil auch Wolkenstein ein Erneuerer war - immerhin führte er im deutschsprachigen Raum die Kunst der Polyphonie ein. Sein Spektrum reichte dabei von "autobiographischen Liedern, Reiseliedern, Frühlingsliedern, Tageliedern, Liebesliedern, pornographischen Liedern bis zu geistlichen Liedern", wie es in den Liner-Notes zum Wolkenstein-Vertonungsalbum "Frölich Geschray so well wir machen" von Michael Korth und Johannes Heimrath aus dem Jahr 1975 geschrieben steht. Was darf man sich von deinem Wolkenstein-Album, vor allem hinsichtlich der musikalischen Bearbeitung, erwarten?

Mein erstes Ziel bei den Nachdichtungen war, ihnen literarisch alles abzuverlangen. Jetzt geschieht dasselbe mit den literarischen Ergebnissen musikalisch. Ich habe eine Zusammenarbeit mit meinem Bruder begonnen, der für mich nicht nur ein Ausnahmemusiker ist, sondern auch dieselbe konsequente Arbeitsauffassung hat wie ich. Von den inzwischen vorliegenden 24 Neukompositionen haben wir 12 für eine erste CD mit Liebesliedern ausgewählt, 12 Lieder, in denen die Popularmusikstile unserer Zeit wiederzufinden sind. Es sind Songs, wie man sie auch in einem Songbook wiederfinden könnte und die man vielleicht irgendwann einmal auch in einem wiederfinden wird, die man alleine mit Gitarre begleiten kann und die genauso in großer Besetzung gespielt werden können. Wir arbeiten seit eineinhalb Jahren an dieser Produktion, davon das letzte halbe Jahr im Studio. Schon bei den Nachdichtungen ging es darum, nicht zu altertümeln und nicht zwangszumodernisieren, das machen wir jetzt musikalisch genauso. Wir lassen Oswald von Wolkenstein musikalisch weiter und wieder durch seine Welt reisen.

Zum Thema Urheberrecht und Festplattenabgabe hast du dir nicht überall Freunde gemacht. Derzeit ist es wieder ein Thema aufgrund der Weigerung von Amazon österreichische Gesetze einzuhalten, die zu einem vollständigen Förderstopp aus SKE-Geldern führten. Die Frage stelle ich mit einer Textzeile von einem Bob Dylan Lied: "How many years can a mountain exist / before it’s washed to the sea?"

Wie lange ein Berg beim Bergabtragen steht, kommt ganz auf die Berghöhe an und wie massiv oder wenig massiv er ist und auf ihn eingewirkt wird. Die Geldberge in Österreich zur Förderung von Popularmusik sind nicht sehr hoch, die sind schnell abgetragen. Es war klar, dass es als erste die jungen Szenen treffen wird, wenn die SKE-Gelder versiegen, dass also die Szenen der heutigen Generationen davon betroffen sind. Warum das niemand wahrhaben wollte, verstehe ich bis heute nicht. Warum irgendjemand glauben konnte, Google, Amazon, Youtube, Facebook, Twitter & Co. sind Freunde und die Künstler wollen sich nur bereichern, nicht umgekehrt, ist mir ein Rätsel. Ich glaube, es ist den neuen Künstlergenerationen inzwischen auch ein wenig klarer, dass sie ein Werk verlieren können, wenn sie nicht darauf aufpassen, und dass es darum geht. Es kann ja auch jeder alles herschenken wollen, wenn er das möchte, aber nur wenn er es selber so bestimmt. Amazon soll zahlen wie jeder kommerzielle Anbieter, der mit Geräten zum Kopieren von Werken von Künstlern handelt, und dieses Geld sollen die Künstler bekommen, und zwar nicht in solchen Witzhöhen wie bei einer Vermarktung durch Spotify.

Was der Musiklandschaft Österreichs schadet, schadet im Wesentlichen auch der Literaturszene in Österreich. Kulturwoche.at als reines Online-Magazin fiel es zwar leicht, Amazon die Partnerschaft zu kündigen, allerdings ist es schwer quasi (einen) andere(n) adäquate(n) Partner zu finden. Wen kann IG Autorinnen Autoren guten Gewissens empfehlen?

In der Größenordnung von Amazon oder Google oder Facebook gibt es niemanden, das ist genau das Problem. Da wir in der IG selbst keine Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht haben, ist es für mich sehr schwer, etwas Gültiges über konkrete alternative Partnerschaften auf diesem Gebiet zu sagen, da ich nur etwas überprüft sagen kann. Ich weiß, dass dieses Dilemma für alle besteht, die großen Marktchancen durch Amazon auf der einen Seite und die verhältnismäßig geringeren Aussichten auf Verbreitungs- und Wahrnehmungserfolge auf der anderen Seite durch kleinere Anbieter. Grundsätzlich erkennt man korrekte Arbeitsbeziehungen immer an den Verträgen bzw. schon daran, dass man nicht einseitig an Allgemeine Geschäftsbedingungen gebunden wird, sondern Verträge vereinbaren kann. Wie sinnvoll und wirksam eine solche Arbeitsbeziehung ist, weiß man allerdings erst durch die Praxis. Das ist bei den Großen aber auch nicht anders.

Seit knapp 40 Jahren sendest du Petitionen, offene Briefe, Protestschreiben und dergleichen mehr im eigenen Namen und im Namen von anderen aus. Kannst du dich noch an deine erste Aussendung erinnern? Gibt es Aussendungen, die dir im Nachhinein leidgetan haben? Im Gegensatz dazu: Welche hast du in besonders guter Erinnerung?

Ich habe generell eine sehr gespaltene Beziehung zu Aussendungen, einerseits sind sie zumeist unerlässlich, um eine sonst ungehörte Position zu vertreten, andererseits wäre es schöner, es würde eine andere Struktur zur Austragung von Meinungsunterschieden und Meinungsverschiedenheiten bestehen. Ich sehe in solchen Texten die Notwendigkeit zur Äußerung, die möglichst präzise ausfallen soll, andererseits sollten sie nicht das Ergebnis darstellen, sondern nur den Beginn der Befassung. Es gibt eine ganze Reihe von Aussendungen, die sehr unbequem für einen selbst sind, die aber trotzdem gemacht werden müssen. Man wird mitunter auch in falsche Zusammenhänge gestellt, aber das gehört dazu, das muss man aushalten. Es soll durch eine Aussendung von mir oder uns natürlich niemand zu Schaden kommen und ich hoffe, das ist nie passiert. Ich habe weder eine Ahnung, was meine erste Aussendung war, noch kann ich sagen, welche ich bedauert und welche ich als besonders gelungen empfunden habe. Es hat allerdings immer Aussendungen gegeben, die wirkungsvoller als andere waren und welche, die wirkungsvoll sein hätten sollen, aber untergegangen oder zu spät gekommen sind. Das nimmt durchaus auch tragische Formen an, wenn man sich für einen gefangenen Autor einsetzt und als erste Reaktion hört, er ist leider gerade im Gefängnis an Herzversagen gestorben oder wenn man eine nichtbeachtete Aussendung nach der anderen macht, wie jetzt bei Asli Erdogan, der österreichischen, Schweizer, deutschen türkischen Exil-Autorin, die seit 16. August 2016 im Gefängnis sitzt, und jeden Tag weiter von ihr als letzte aktuelle deutschsprachige Zeitungsmeldung im Netz vom 22. September, die jetzt schon rund 3 Wochen her ist, lesen kann: "Vergeßt mich nicht", und jeder neue Tag ohne Meldung über sie genau das und nichts anderes heißt, dass sie vergessen wird.

Was war dein erstes Gedicht bzw. dein erster literarischer Text? Gibt es ein Gedicht bzw. einen literarischen Text, bei dem du dir denkst, ihn besser nicht geschrieben zu haben? Auf welchen bist du hingegen besonders stolz?

Es sind in ein paar Zeitschriften ein paar Gedichte und Texte von mir aus den frühen 1970er Jahren erhalten geblieben, die vielleicht nicht ganz so schrecklich waren, wie die 500 Gedichte und vielen Erzählungen und 12 Theaterstücke, die ich damals weggeworfen habe. Den Abdrucken nach lässt sich zwar sagen, was mein erstes Gedicht war, nur das war es bestimmt nicht. Das war mit Sicherheit noch schlechter. Mir ist der Schock sehr gut in Erinnerung, den ich beim Lesen von Enzensbergers "Museum der modernen Poesie" gehabt habe, dass plötzlich keine großen Gefühle mehr in den Gedichten auftauchen, sondern Alltagsgegenstände. Wahrscheinlich habe ich daraus heraus mein Ausnüchterungsbedürfnis für meine Gedichte entwickelt, das eben meistens soweit gegangen ist, dass von ihnen nichts mehr übergeblieben ist. Ich bin auch in den 1980er Jahren mit meinen literarischen Texten noch nicht anders umgegangen, das meiste habe ich wieder weggeworfen. Werner Herbst hat einmal ein paar Gedichte vor meinem Wegwerfen gerettet und daraus 1987 einen ziemlich erfolgreichen Gedichtband in seiner Herbstpresse gemacht. Erst Ende der 1990er Jahre habe ich dann mit meinen Gedichten und meinen anderen literarischen Texten leben gelernt. Statt alles immer nur wieder wegzuwerfen, habe ich an ihnen weiterzuarbeiten begonnen. Veröffentlicht man länger nichts, wird man wieder vergessen und muss wieder entdeckt werden, das ist mir ein paar Mal so gegangen. Aber damit habe ich sowieso immer gelebt, die, mit denen ich Musik gemacht habe, haben nicht gewußt, dass ich schreibe, die, mit denen ich Theater gespielt habe, nicht, dass ich Musik mache, die, für die ich mich eingesetzt habe, nicht, dass ich Theater spiele, singe oder schreibe.

In welcher Ahnengalerie von Literaten würdest du dich sehen wollen?

Das ist in Österreich nicht schwer zu sehen und ungeheuer schwer auszuhalten, weil man an diesen Autoren gemessen wird. Jandl, Fried und Artmann gibt es auch ohne mich, ob es mich auch ohne sie gegeben hätte, glaube ich nicht. Ich habe etliche Jahre gebraucht, in denen ich mich ständig überzeugen musste, dass ich nicht meiner Beeindruckung durch meine großen Vorgänger zum Opfer gefallen bin und lauter Kopien liefere. Dann gab und gibt es noch die Autoren, zu denen ich von vornherein in zeitlicher, räumlicher oder sprachlicher Distanz gelebt habe wie z.B. Kästner, Brecht, Bachmann, Dürrenmatt, Sartre, und damit höre ich dann schon wieder auf, ich war ja in meinem früheren Leben hauptsächlich ein ununterbrechenbarer Leser. Ich glaube sowieso, die meiste Zeit in seinem Künstler- oder Autorenleben verbringt man damit, eine eigenständige Künstlerpersönlichkeit zu werden, die, wenn es gut geht, in ihrer Art und Weise, wie sie etwas macht, wiedererkannt werden kann. //

Interview: Manfred Horak
Fotos: Reinhard Prenn, Privatarchiv, Dieter Scherr (IG Autorinnen Autoren), Ulli Stecher